Vorlesezeit mit Oma

Lesetipp „Mensch, Oma!“ Mit Interview.

6 Minuten Lesezeit

Ausflüge, Spiele, Mahlzeiten, Feste und einfach zusammen sein: Bärbel Kempf-Luley erzählt in vielen kurzen Geschichten, was sie mit ihrer Enkelin erlebt. Zur Nachahmung empfohlen!

Von Sven Crefeld

Wenn die kleine Nora von ihrer Oma vorgelesen bekommt, dann kann es passieren, dass sie selber in der Geschichte auftritt. Denn Noras Oma hat zwei Bücher geschrieben, deren Heldinnen niemand anders als – Nora und Oma sind. Was für eine tolle Idee zu einem Kinderbuch: ein Tag für zwei und mal schauen, was ihnen so passiert. Da wird gemalt, gespielt, geputzt, geschaukelt, gewandert, geradelt oder sich versteckt. Vor allem wird geredet: Nora und Oma führen gewitzte Dialoge, in denen sie einander Fragen stellen und sich verständigen, worauf sie Lust haben und worauf nicht. Denn sie sind sich ja nicht immer einig. Oma kann dickköpfig oder genervt sein – und Nora auch. So sind die alltäglichen Szenen der „Mensch, Oma!“-Bücher auch eine Übung in Toleranz, Respekt und Einfühlungsvermögen.

Das Enkelkind wird hier nicht übermäßig verwöhnt. Es will einen Fernseher? Den hat die Oma nicht. Aber begeisternder ist es doch, aus einem großen Karton eine eigene Mattscheibe zu basteln und selbst Regie beim Film zu führen. Das ist nur eine von vielen Episoden, die Bärbel Kempf-Luley zu einer charmanten Chronik des Oma-Seins zusammenfügte. Manches Abenteuer ist dabei, etwa wenn der Hausschlüssel verloren geht oder ein Elefant im Flur steht, aber meistens geht es um genaue Beobachtung dessen, was sich zwischen Enkelin und Großmutter ereignet. Es sind Situationen, die jeder Opa und jede Oma kennen dürften – inklusive Überraschungen, Konflikten und großer Gefühle. Mit liebevollem Blick sind Enkel-Erlebnisse aller Art sehr realistisch und wahrhaftig eingefangen. Also, werte Großeltern: Gern nachmachen!

 

Bärbel Kempf-Luley, Illustriert von Sanne Dufft; Mensch, Oma!
Ab 4 Jahren.
160 Seiten, 14,00 Euro
ISBN 978-3-8251-5150-8
Verlag Urachhaus

 

 

Unser Autor Sven Crefeld hat die Erzählerin und Oma Bärbel Kempf-Luley 2021 zu ihrem Leben mit Enkelin Nora und ihrer Motivation zum Schreiben befragt.

Im ersten Buch beginnt jedes Kapitel mit dem Ausruf „Mensch, Oma!“ der Enkelin. Das kennen Sie wohl gut, oder?

Ja, diesen Satz habe ich oft zu hören bekommen. Das ging los, als Nora drei, vier Jahre alt war. Heute ist sie zehn, aber es kommt immer noch ab und zu. Mittlerweile eher im Sinne von „Mensch, Oma, du hast ja keine Ahnung!“

Wie kam es zu Ihrem Buch?

Eines Tages gingen mir die vielen Situationen mit Nora durch den Sinn, und ich habe im Rückblick gesehen, wie viel Witz sie oft enthalten. Daraufhin habe ich angefangen, sie aufzuschreiben, für mich, zum Spaß. Es waren Szenen, die ich festhalten wollte. Ein Freund, der Verlagsvertreter ist und dem ich die Texte geschickt hatte, sagte mir: Eigentlich könnte man daraus ein Buch machen.

Ein Tag mit der Enkelin – kann man den planen?

Das Spannende ist: Ich weiß eigentlich nie, was mich erwartet, wenn sie kommt. Ich habe gelernt, dass meine Vorstellungen sich immer anders entwickeln und ich sie aber auch loslassen muss. Meine Enkelinnen kommen manchmal zu zweit und manchmal einzeln. Das wünschen sie sich, und ich wünsche es mir auch. Natürlich wird dann Bespaßung verlangt. Manchmal ist mir nicht danach, dann will ich mich auch nicht überreden lassen. In dem Fall müssen die Kinder ihre Vorstellungen loslassen und wir suchen etwas, das uns allen dreien gefällt. So lernen sie, dass es auch für mich unterschiedliche Tage und Bedürfnisse gibt.

Hätten Sie früher gedacht, dass Ihnen dieses Zusammensein so viel Freude bereitet?

Ich habe mir eigentlich nie Vorstellungen gemacht, wie es wäre, Enkelkinder zu haben oder Oma zu sein. Und dann war es eine große Überraschung: Es war völlig anders als mit eigenen Kindern. Ich sage manchmal, das ist eine Bonbonbeziehung, wo ich eigentlich nicht viel „muss“, weil ich nicht diejenige bin, die die ständige Verantwortung hat. Es ist jedes Mal etwas Besonderes, wenn wir zusammen sind, auch wenn Alltag ist. Mit Bonbonbeziehung meine ich aber nicht, dass es immer rosarot ist.

Was lernen Sie von den Kindern?

Als Nora im ersten Jahr angefangen hat, die Welt zu entdecken, habe ich festgestellt: Was wir alle für selbstverständlich nehmen, ist eigentlich so besonders. Diese kleinen Dinge, wenn ein Kind die Welt entdeckt. Daran teilzuhaben, hat mich berührt und beglückt: sich auf die Suche zu machen und neu zu entdecken, wie die Welt eigentlich ist. Im Grunde genommen, habe ich durch die Enkelinnen – mittlerweile sind es drei Enkelkinder – noch mal gelernt, die Welt wieder so zu sehen, wie ich sie als Kind wahrgenommen habe. Da wieder anzudocken, das ist wirklich das Besondere an der Beziehung zu Enkeln.

Wo liegt der Unterschied zur Eltern-Kind-Beziehung?

Oma zu sein, ist eine andere Rolle als die der Mutter. Mit meinen Kindern war das anders: Man ist jünger, da liegen die Nerven öfter blank. Ich erlebe mich selbst in der Rolle der Großmutter heute souveräner. Ich kann einerseits auf die Kinderebene einsteigen, ich kann mich aber auch selbst mehr behaupten. Das schafft eine größere Gelassenheit, mit den Kindern umzugehen.

Haben Sie sich darauf gefreut, Oma zu sein?

Ich bin schon mit 46 Jahren Großmutter geworden, also relativ früh. Als mein Sohn zu mir „Du wirst Oma“ sagte, war ich im ersten Moment nicht unbedingt begeistert. Ich hatte gerade erst die Mutterrolle hinter mir. Doch in dem Augenblick, als das kleine Wesen in meinen Armen lag, dachte ich: Ich will deine Oma sein! Ich will für dich da sein. Vielleicht schenke ich mir auch in gewisser Weise selbst die Oma, die ich nicht hatte.

Im zweiten Buch hat Nora einen Alterssprung gemacht und geht zur Schule. Außerdem hat sie nun eine kleine Schwester, die ganze Familie rückt mehr in den Fokus. Ist die enge Beziehung zu Nora damit etwas gelockert?

Die Beziehung verändert sich, genau wie das Leben der Kinder. Freunde und andere Menschen werden wichtig. Der Kreis erweitert sich. Beim zweiten Buch tat ich mich schwerer, weil ich wusste: Noch mal 24 Geschichten mit Nora, das geht nicht. Es stellte sich für mich auch die Frage: Was gebe ich jetzt von Nora preis? So wurde zum Leitfaden, dass das Leben sich ständig wandelt und damit auch die Beziehungen der Kinder.

Es gibt eine anrührende Geschichte, in der Oma ihren Geburtstag feiert und von allen Verwandten beschenkt wird, sich sogar eine Krone aufsetzt – als ob sie selbst ein Kind wäre. Was steckt dahinter?

Ich habe viele Jahre gesagt: Ich will nichts zum Geburtstag geschenkt bekommen, der Geburtstag ist mir nicht wichtig. Doch bei den Kindern sind die Geburtstage oft schon Monate vorher Thema, ich bekomme dann ihre Wunschlisten. Da habe ich gemerkt: Es tut gut, sich einen Tag lang in den Mittelpunkt zu stellen und die „Bestimmerin“ zu sein. Alle anderen haben das zu akzeptieren und machen das gern. Ich finde, es ist eine tolle Eigenschaft von Kindern, sich selbst wichtig zu nehmen. Das habe ich mir in meinem Leben von den Enkeln abgeguckt.

Eine lustige Episode ist die, in der Nora sich im Bairischen übt, was die Oma eher befremdet, da sie eine Zugereiste ist. Was kann sie der Enkelin in diesem Punkt mitgeben?

Für die Kinder geht die Entwicklung vorwärts, die Welt öffnet sich. Und die Welt hört nicht in Prien am Chiemsee auf. Ich habe den Kindern bereits meine Heimat gezeigt, den Westerwald, und die Orte, wo ich gespielt habe.

In „Mensch, Oma!“ wird die zweite Großmutter erwähnt, die „Post-Oma“. Wie ist das im realen Leben, gibt es eine Konkurrenz zwischen den Omas?

Nein, gar nicht. Die andere Großmutter und ich sind vom Jahrgang her gleich, aber wir sind grundverschieden. Die Mädchen erleben zwei sehr verschiedene Omas, und das ist sicherlich etwas Positives und eine Bereicherung.

Ein anderes Thema ist der Umzug der Familie in ein Haus, wodurch sich die räumliche Entfernung zu der Oma vergrößert. Wie bleibt trotzdem die feste Bindung erhalten?

Auch wenn die Wohnungen wechseln, das Bekannte bin ja ich. Das ist die Voraussetzung, um Neugierde zu haben: dass man Boden unter den Füßen und feste Bezugspunkte hat. Nora will im zweiten Buch auch mal etwas ohne die Oma machen. Aber ohne Sicherheit und Geborgenheit ist es schwer, seiner Neugier auf die Welt zu folgen.

Wie darf man sich einen gemütlichen Wintertag mit Nora und Lucy vorstellen?

Beide spielen oder basteln gern. Jede von uns dreien macht Vorschläge. Die Kinder sind schnell zu begeistern. Ich habe zum Beispiel ein Erzähltheater, das Kamishibai, für das wir gerne malen und basteln.

Wenn Sie nicht mit der Enkelin zusammen sind, wie ist da der Kontakt?

Per Telefon schon ganz lange, das hat Nora früh herausgefunden. Inzwischen hat meine Enkelin auch ein eigenes Handy, da bekomme ich mal eine WhatsApp. Aber es vergeht keine Woche, ohne dass wir uns sehen.

Autorin Bärbel Kempf-Luley

Bärbel Kempf-Luley

wurde 1965 geboren und ist mit drei Brüdern im Westerwald aufgewachsen. Sie lebt seit 32 Jahren im Chiemgau. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Buchhändlerin und schreibt seit ihrer Kindheit. Ihre zwei Söhne und drei Enkel leben ebenfalls im Chiemgau.

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