Glücksfall: Großvater

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Von wegen Hut und Stock. Sie tragen Jeans und fahren Fahrrad. Von wegen grimmig und unnahbar. Sie lieben ihre Enkel ohne Wenn und Aber. Sind Vorleser, Zuhörer, Spielkamerad, Bündnispartner und Fels in der Brandung. In vielerlei Hinsicht haben sie sich wunderbar gewandelt, diese Großväter. Und: Sie nutzen ihre „zweite Chance“!

Von Bettina K eppler

An ihrem lieb gewonnenen Ritual halten alle fest. Wenn die beiden Enkelkinder (Philippa, 6, und Severin, 4) bei den Großeltern übernachten, gibt es auch für Opa Fred ein strukturiertes Programm Puzzeln, Memory, Mühle oder Mensch ärgere Dich nicht spielen und vor dem Zubettgehen, um 18.50 Uhr, das „Sandmännchen“. Opa Fred genießt es. Der 71-Jährige arbeitet noch in seinem eigenen kaufmännischen Unternehmen und kann deshalb genau trennen zwischen dem „schönsten Job der Welt“ als Großvater und seinem Beruf als Diplom-Handelslehrer: „Die Betreuung meiner Enkel ist kein ‚Job‘ im herkömmlichen Sinn“, sagt er fröhlich. „Es ist ein Vergnügen! Ein beruflicher Job kann niemals in dem Maß Zufriedenheit und Stolz bieten.“ Man spürt es: Opa Fred ist von ganzem Herzen und sehr gerne Großvater. Mit großer Hingabe und vielen kreativen Ideen gestaltet er eine innige Beziehung zu seinen Enkeln, verknüpft dabei Traditionelles mit Neuem. Die alten Märchen der Gebrüder Grimm verpackt er in moderne Versionen, spricht diese auf die „Tonie“-Box und freut sich über die Freude der Kinder. „Märchen sind fantasierte Bilder und Kinder lieben es, wenn Bilder leben“, sagt er lächelnd.

ES IST EIN VERGNÜGEN!
Dass Großväter wie Opa Fred so reden und sich so intensiv mit ihren Enkeln auseinandersetzen, ist relativ neu. Denn lange lag deren Betreuung vorwiegend in den liebevollen Händen der Großmütter. Großväter zeigten wenig Teilnahme. Abseits des Geschehens, Zigarre rauchend im Ohrensessel, manchmal genervt vom Trubel der Kinder und mit mahnenden Worten die Welt erklärend. Das war einmal. „Die neuen Großväter halten sich nicht mehr raus, sondern nehmen mit großer emotionaler Nähe teil“, erklärt Professor Eckart Hammer, der die neue Großvaterrolle sozialwissenschaftlich erforscht. „Frühere Großvater-Generationen zeigten sich deutlich distanzierter und weit weniger nahbar. Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren hat sich ein Verhaltenswandel abgezeichnet. Heute haben wir eine Großvater-Generation, die schon als Vater den Anspruch hatte, aktiv zu sein, und nun mit ihren Enkelkindern all das tut, was ihnen Spaß macht.“ So wie Opa Fred. Er genießt die gemeinsamen Ausflüge auf den Spielplatz, in die Kletterhalle, Eisdiele oder Kinder-Spielhalle ebenso wie das Vorlesen aktiver Geschichten. Dabei versteht er sich als Beobachter, Zuhörer und Förderer junger Menschen, die unsere Welt aus ihrer eigenen Perspektive erleben. „Kinder sind immer mittendrin in ihrer Welt und in der Welt der ‚Gewachsenen‘ noch nicht angekommen – wie meine Enkeltochter zu sagen pflegt. Ich, als Großvater, bin der ‚Gewachsene‘, der geduldige Erklärer.“

Denn dank seiner Lebenserfahrung sieht und beurteilt er Dinge anders und weiß vieles, was eventuell auch der Papa nicht weiß. Der offene Austausch von kindlichem Verständnis und Erfahrung des Großvaters – das empfindet Opa Fred als sehr besonders in der Enkelbeziehung. „Mich fasziniert, wie Kinder beobachten, wahrnehmen, verstehen und sich entwickeln.“ Und noch etwas ist besonders: Mit seinen Enkelkindern kann er gefühlt die Zeit zurückholen. Sie sind für ihn ein „Zeitsprung in die Vergangenheit“, denn sie erinnern ihn an verpasste Zeiten, Gelegenheiten und Pflichten.

Opa Thies (69 Jahre) mit Enkeln Linus (6) und Jonah (2)

VON DEN ENKELN LERNEN
„Ein holländisches Sprichwort sagt: Großväter sind Väter, die vom lieben Gott eine zweite Chance bekommen! Und da ist durchaus etwas dran: Sie holen Dinge nach, die sie als Väter zu ihren Erwerbszeiten verpasst haben. Außerhalb der Ferien- und Wochenendzeit konnten sie wenig für ihre Kinder da sein. Jetzt verfügen sie über einen anderen Zeitwohlstand und da liegt eine große Entwicklungschance für die Großväter, um vieles nachzuholen“, beschreibt Sozialwissenschaftler Hammer das Phänomen der „zweiten Chance“, die so viele Großväter zu schätzen und zu nutzen wissen. So wie auch Opa Thies. Er arbeitete in leitender Funktion bei einer Bank und sein Zeitfenster für familiäres Miteinander beschränkte sich auf ausgewählte Momente. „Das Berufsleben hat früher viel Zeit und Energie beansprucht. Bei den eigenen Kindern konzentrierte sich das Zusammensein meist auf das Wochenende oder auf wenige Stunden am Abend. Der Familienurlaub war damals die schönste Zeit mit den Kindern“, erklärt er rückblickend. Jetzt widmet sich der 69-Jährige seinem Hobby als Schriftsteller und ist leidenschaftlich gerne Großvater. „Ich habe endlich Zeit, mit den Enkelkindern viele Stunden zusammen zu sein, den Wald zu erkunden, zu spielen, Späße zu machen, gemeinsam zu essen, zu singen oder Kinderbücher vorzulesen. Mit den Enkelkindern habe ich ‚Dauerurlaub‘, schmunzelt er zufrieden.

Er weiß es zu schätzen, das große Plus an Zeit, aber vor allem auch die dadurch machbaren Möglichkeiten des Miteinanders. Auch weil es nicht immer so war. Weil es lange keine gemeinsame Nähe mit einem Enkel gab, der in Dänemark geboren wurde und dort wohnte. Die Liebe auf Distanz lebte vorwiegend über moderne Datenübertragung und führte so zu kreativen Schöpfungen. Zum Beispiel zu einer Bildergeschichte, die Opa Thies illustriert und dann digitalisiert hat. Diese Kreation ist zu einem lieb gewonnenen Ritual geworden. Zu jedem Weihnachtsfest fasst Opa Thies das Aufwachsen seiner vier Enkel in einem textlich unterfütterten Fotobuch und in einer liebevoll gestalteten Abenteuerreihe für alle Kinder und Enkel zusammen. Was für eine schöne Idee! Sie, wie all die vielen anderen Aufmerksamkeiten und Zuwendungen, stärken die innige Beziehung zwischen den Generationen, prägen positiv die Entwicklung des Kindes und sein gelingendes Heranwachsen zu einem großartigen Erwachsenen. Umgekehrt profitieren Großväter wie Opa Thies von der Beziehung zu den Enkeln. Das zeigte das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 2018 in einer Studie. Tenor: Wer sich mit (Enkel-)Kindern beschäftigt, bleibt körperlich und geistig fitter, ist zufriedener, lebt unter Umständen sogar länger. Ihre Spontaneität und ihre grenzenlose Neugierde fordern auf wunderbare Weise. Wissen wollen, was dahintersteckt. Warum ist etwas so und nicht anders? Der Wissensdurst von Kindern ist unerschöpflich. Und gerne gibt der geliebte Großvater die Antworten darauf, warum der Himmel blau ist und der Mond nicht runterfällt.

Ganz wichtig dabei: Es steht stets die gemeinsame Freude am Erklären, Spielen, Reden oder Vorlesen im Vordergrund. Jegliche Form des Miteinanders wird motiviert durch Herzenslust, geschieht eher ungeplant und spontan, folgt keinem moralischen Zeigefinger, sondern einem einfachen, aber immens wichtigen Gebot: Großväter dürfen verwöhnen, Väter erziehen! „Als Opa lasse ich mich eher ‚treiben‘. Erziehung ist für mich kein Thema“, sagt Opa Thies augenzwinkernd. Allen vier Enkeln gleichermaßen mit Liebe zugewandt, geben ihm diese ein Stück Kindheit zurück und lehren Verlerntes wieder neu: „Bewusst oder unbewusst lerne ich viel von den Enkelkindern: vor allem deren Leben im Hier und Jetzt. Ihre spontane Freude an der Gegenwart, ihre volle Konzentration auf Einzelheiten, ihr Zeigen von Freude oder manchmal auch Enttäuschtsein. Vieles davon haben wir Erwachsenen wieder verlernt. Ich versuche, ein wenig daraus zu lernen, nach dem Motto von Pablo Picasso, der sagte: ‚Als Kind ist jeder Künstler. Die Schwierigkeit besteht darin, als Erwachsener einer zu bleiben.‘ Diese Kunst möchte ich von den Enkeln wieder erlernen.“

Portion Jugendlichkeit: Auch Teenager und Volljährige sind Enkelkinder, die das gegenseitige Lernen und das Jungbleiben der Großväter ermöglichen.

INNIGE ZUNEIGUNG UND TIEFESWOHLWOLLEN
Was aber lernt wohl ein pensionierter Lehrer von seinen Enkelkindern? „Jugendlichkeit“, antwortet Opa Gerhard lachend. Aber nicht nur. Der 77-Jährige nimmt Unterricht in Sachen Mut und Neugierde, lernt aber auch gerne Neues. Beispiel: der Umgang mit den neuen Medien. Entsprechend gehört regelmäßiges Schreiben zu einem besonderen Ritual in der Beziehung zu seinen heranwachsenden Enkelkindern, die ferner von gemeinsamen Ausflügen und sportlichen Aktivitäten, wie Wandern oder Radeln, positiv geprägt ist. Bei den regelmäßigen Treffen werden Opa Gerhards innige Zuneigung und sein tiefes Wohlwollen seinen Enkeln gegenüber spürbar. „Seit 19 Jahren darf ich Großvater sein und bin es sehr gerne. In den ersten Jahren haben wir zusammen viel gespielt. Inzwischen höre ich meinen Enkeln vor allem zu, bin offen für ihre doch sehr individuellen Ansichten, ohne dabei zu werten oder zu urteilen. Ich freue mich, dass sie sich zu so ganz eigenen Persönlichkeiten entwickeln, und bin beeindruckt, wie sie ihren jeweils eigenen Weg in dieser komplexen Welt gehen.“ In ihrer Rolle als Zuhörer sind Großväter fraglos eine feste Bezugsperson und einfach dadurch, dass sie da sind, gleichermaßen Vorbild: „Das sind sie, wie sie leben, wie sie gelebt haben, was sie für eine Geschichte haben. Es genügt, ein hinreichend guter Großvater zu sein! Man muss keinen Großvater-Kurs besuchen, man muss keinen Großvater-Ratgeber lesen. Es genügt in der Regel, authentisch zu sein“, erklärt Professor Eckart Hammer. So einfach und doch so bedeutend ist es also heute, Großvater zu sein. Was für ein Glück!

Buch-Ti•pp
Prof. Dr. Eckart Hammer ist einer der führenden Sozialforscher zum Thema Männer und Alter.
Sein Buch „Großvater sein“ ermutigt dazu, die eigene Rolle als Großvater zu entdecken, zu gestalten und zu genießen.

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